Es war einmal ein Blog.
Er war entstanden, wie alle Blogs entstehen: Jemand hatte
einen Samen gesät, und der Samen war auf fruchtbare Erde gefallen. Er hatte zu
treiben begonnen, ganz zaghaft zunächst und schüchtern, hatte sich nahe am
Boden gehalten, um unentdeckt zu bleiben. Doch nach und nach hatte ihn die
Kraft der Erde durchströmt, er hatte sich aufgerichtet, der Sonne ins Gesicht
geblickt, und war gewachsen. Und gewachsen.
Eines Tages war der Samen kein Korn mehr, und auch kein
unsicherer Trieb. Er war zu einer stattlichen Pflanze gereift, deren Blätter im
warmen Licht des Tages in tausend Farben schillerten und im kühlen Glanz des
Mondes silbrig schwelgten. Sie erzählte Geschichten und sang Lieder, und lange
Zeit genügte sie sich selbst. Sich selbst und dem Sämann, der noch irgendwo
hinter dem Horizont zu spüren war, zwar selten wirklich in Erscheinung trat,
aber doch seine Gegenwart in ihren Adern verströmte.
Doch dann passierte etwas. Wir wissen nicht genau, was
vorgefallen war, denn sie wollte nicht darüber reden, obwohl Worte doch ihr
Lebenselixier waren. Jedenfalls war der Sämann verschwunden, und sie wusste
nicht mehr, für wen sie singen sollte. Niemals, seit dem Anbeginn ihrer Zeit,
hatte sie etwas Vergleichbares erlebt – eine Abwesenheit, die ihre Existenz in
Frage stellte, die wirklicher schien als sie selbst. Viele wären an ihrer
Stelle verdorrt, kümmerlich zu Grunde gegangen an dem Nichts, das nun dort war,
wo immer Etwas gewesen war – etwas Wichtiges, Notwendiges. Aber sie nicht. Ihr
Lebenswille war größer als ihr Schmerz, ließ sie nicht im Stich, er nicht. Und
so beschloss sie, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Leicht ist das nicht für einen Blog. Zunächst schien es, als
könne sie ihre Wurzeln keinen Zentimeter bewegen. Zu fest waren sie eingewebt
in den dichten, schweren Untergrund der Erinnerung. Zu taub waren sie in ihrer
Trauer. Doch unsere Pflanze gab nicht auf. Gut, da waren Momente, in denen ihre
Kräfte nachließen, in denen sie mutlos innehielt und sich dem Schatten hingab,
der auf ihr lastete. Doch immer wieder erhob sie von neuem ihr Haupt, begann
von vorne, strengte sich noch mehr an.
Und eines schönen Tages spürte sie tief unten, dort, wo seit
undenklichen Zeiten ihre fest verknoteten Wurzeln mit dem Erdreich verwoben
waren, einen Ruck, einen ganz leichten. Von da an ging es Schlag auf Schlag.
Zentimeter um Zentimeter kämpfte sie sich frei, unter Schmerzen zwar, aber wild
entschlossen. An manchen Stellen klebte der dunkle Boden so fest, dass sie ihn
mitriss – tiefe Wunden schlug sie in die Erde. Und einige ihrer Wurzeln hielten
der Belastung nicht stand. Sie klammerten sich trotzig an den Untergrund, der
ihnen so lange Mutterschoß gewesen war und nun zu ihrem kalten Grab werden
sollte. Jeder Verlust schmerzte sie, als würde sie entzwei geschnitten. Aber
sie gab nicht auf.
Am Ende klafften überall an ihrem Körper blutende Wunden. Sie
hatte zahllose Blätter verloren und strauchelte unter den Folgen ihrer
Schlacht. Doch sie war frei. Die neuen Ufer waren nicht mehr zum ewigen Traum
verdammt. Jetzt wusste sie, dass sie ihr Schicksal in die Hand nehmen konnte.
Vielleicht würde sie die Insel der Seligen erreichen, oder gar das gelobte
Land. Vielleicht auch nur ein neues Tal. Aber sie würde gehen.
Ob sie es erreicht hat, ihr Ziel? Wir werden es nie erfahren,
denn ihre Spuren verlieren sich im Wind. Aber gegangen ist sie.