Donnerstag, 9. Dezember 2010

Flashback

Seltsam
dass alte Wunden
nicht heilen

Ungerührt
von der Wucht
der Jahrzehnte
schmerzen sie
und bluten
als wär’s erst
gestern gewesen
oder heute

Die Zeit heilt nur
wenn sie vergeht
wenn aus dem grellen Jetzt
ganz sachte
Damals wird
Wenn unbemerkt
ein leichter Nebel sich
über Ecken, Kanten,
Gräben legt
der jeden schrillen Ton
und scharfen Klang
in Watte packt

Die Zeit vergeht nur
untertags
wenn mein Gehirn weiß
wer ich bin
und wann
Im Traum jedoch
steht dein Gesicht vor mir
vertraut und
ohne Schatten

Und meine Liebe
hofft auf’s Neue
unverbesserlich
und meine Schuld
reicht bitter ihr
die Waage

Und jener Teil von mir
der auch im Traum weiß,
dass er träumt
flüstert mir höhnisch
- fast, als schmerzte es
noch nicht genug:
Es ist zu spät
nicht mehr zu ändern
die Chance verpasst
die Züge ausgeführt
die Bauern grausam
aus dem Feld geschlagen

Ach, könnte ich die Uhr
nach beiden Seiten drehen!
Doch sie läuft stur voran
wie man es ihr befohlen
Die Opfer sind
nur zu beklagen
nicht zu retten
Und meine Wunden
werden klaffen
jenseits aller Zeit

Sonntag, 21. November 2010

Märchen

Und wenn sie nicht gestorben sind
leben sie immer noch
in den Perlen des Schaumweins glitzernd
dass dein Inneres klingt
und du dir nichts wünscht
als bei ihnen zu sein

Du hältst dich fest
hältst sie fest
wenn ihre Farben verblassen
willst sie nicht missen
nicht ihr Bild
in dir zerreißen
auf halbem Weg gestrandet
im Echo ihres Seins

Du willst sie lieben
ihre Nähe spüren
auf deiner nackten Seele
Wie ein Kostüm
so seidenweich
dein Ich verklärt
in lichte Sphären hebt

Du trinkst ihr Leid
als wär’s das deine
ihr Durst stillt deinen Hunger
nach Gefühl
du darfst sie leben
bis das letzte Blatt
euch scheidet
und dich zurücklässt
dürr und einsam
in einer leeren Welt

Dienstag, 2. November 2010

Allerheiligen

Der See liegt dunkel
vor schweren Wänden
die Bäume feiern glanzvoll
ihren Untergang

Zerdrückte Wolken treiben unstet
lauschend dem Wind
der sich dem Winter noch nicht fügt
und trotzig wild
das Lied vom Sommer singt

Was kümmert sie
mein leeres Winseln
mein Morgen
das für sie längst
gestern ist?

In Demut leg ich meine Furcht
vor ihnen nieder
und wie mein Jammern
prallt mein Lobpreis ab
an ihrem stummen Sein

Vor ihrer Ewigkeit
finde ich Ruhe
ein Molekül im Universum, das
im Troste der Vergänglichkeit sich wiegt

Ich atme Frieden und
still dank ich den Gewalten
für meine Bedeutungslosigkeit

Freitag, 22. Oktober 2010

Emotionen

Das Lied von der Kärntner Straße
in mein Zimmer holen
an Erdbeereis denken, ohne es
auf meiner Haut zu fühlen
wie gut es tut
es einmal gefühlt zu haben

Weine ich aus Freude
Trauer
Liebe
Empathie
oder weil nichts von alledem
mich erfüllt
oder zuviel von allem

Die Sonne scheint
und singt das Lied des Regens
träumt sie vom Regenbogen
oder vom Mond?

Vollkommenheit ist
unseren Herzen fremd
wie eine nie gehörte Sprache
Dort, wo es klafft und zieht
wo Dunkelheit und Kälte
dem lichten Antlitz unserer Seele
Akzente setzen
sind wir daheim

Donnerstag, 14. Oktober 2010

Chaos

Schreiben
was nicht gesagt werden kann
weil es nie gedacht wurde

Wie viele Möglichkeiten schwirren
unerkannt im Raum?
Schreien sie nach Leben?
Oder sind ihre Zungen stumm
wie ihr Antlitz blind
ohne den Atem des Künstlers?

Was fühlt der Würfel
während er fällt?
Weiß er, ob er auf der Schokoladenseite
weich landen
oder im Abgrund zerschellen wird?
Hat ein unbekanntes Ich ihn
grausam lächelnd
aus dem Ärmel geschüttelt?
Oder ist er
der ewig fallende Engel,
auf dem Sturzflug in eine Tiefe
deren Endlosigkeit ihr
jeden Schrecken nimmt?

Ameisenhaft betulich
suchen wir Antworten
scheffeln Wissen
entwerfen Hypothesen
genährt von einem Fieber
das zerstört, was es begreift
trunken aus der wilden Hoffnung
dass hinter unseren Antworten
die Frage steht

Freitag, 24. September 2010

Daheim

Die Bäume haben
auf mich gewartet
geduldig
so lange war ich fort

Ungerührt stehen sie
jeder ein Wunder für sich
singen leise ihr Lied
als wäre nichts geschehen

Vielleicht ist es
in Baumzeit
nur eine Sekunde
seit ich sie besucht habe
in einem anderen Leben
Oder vielleicht haben sie
mich nicht bemerkt

Ich atme ihre Ruhe
die mich nicht braucht
die mich befreit
Und tröstend fühl ich
die Gewissheit
dass sie noch hier sein werden
lang nach mir

Sonntag, 22. August 2010

Evas Garten

Die Augen schließen
Das Salz auf meiner Haut prickelt
unter dem Werben der Sonne
Eine Taube schreit
im Rhythmus meines Atems
seltsam vertrauter Ton
meiner Kindheit

Jedoch
mein Blick verlangt zu sehen
dem Ruf zu folgen, der
lockend und fordernd
aus der Tiefe steigt

Unter den Felsklippen sprudelt er hervor
die herausfordernd bizarr
mitten im Fall verharren
seit Jahrtausenden

Aus smaragdenen Gründen dringt er
klar und rein
die wie offene Spiegel
ihre Geheimnisse verschenken
und flüsternd erzählen
von einer verborgenen Welt

Aus den Hügeln purzelt er
lustig herüber
stößt sich an einem Gipfel ab
rollt ein Stück hinunter
bis zur nächsten Kuppe
hüpft von einer Zypresse zur nächsten
wie ein frecher Spatz
dass ich lächelnd den Kopf schüttle

Steigt dann jauchzend empor
immer höher
ins unendlich Blaue
ruht sich dankbar aus auf
einer Wolkenleiter
die da wie zufällig liegt und
seiner harrt
winkt mir von oben
spitzbübisch kokett
sein Lachen tausendfach vertont
im herben Singsang
der Zikaden

- Und dankbar
lausche ich dem Ruf
Mein Leben strömt
im Takt seiner Musik
Ich sehe, höre, fühle
wie am ersten Tag
Und meine Freude füllt das Universum

Samstag, 24. Juli 2010

37 Stunden

Es braucht kein Handeln
keine Tat, keine Entscheidung
um einen Sprung zu tun
in parallele Welten

Ein sanfter Schlaf
geborgen in der Unschuld eines Kindes
im Traum, ein Lächeln auf den Lippen,
gleitest du ganz allmählich tiefer

Und dann, im Bruchteils eines Augenblicks
tut sich die Tiefe auf mit bösem Grinsen
brutaler Aufprall in der neuen Wirklichkeit
dein Schreien, es entstammt schon
einem dunklen Universum

Und wie ein Stein im Wasser seine Kreise zieht
entfalten sich aus deinem Fallen neue Welten -
wieviele sind es
kann ich sie ertragen
und muss ich jede leben
mit einem Zipfel meines Seins?

Ich sehe sie vor mir gefächert
trotz ihrer schwarzen Farbe quälend scharf
mein Kind gestorben
unheilbar verletzt
geistig entrückt
Nie wieder ihre Stimme hören
wie sie in klaren Sätzen spricht
nie wieder ihre kleine Hand in meiner halten
oder doch nur die Hülle lieben
die mir bleibt von diesem wilden Wesen
das jetzt in dumpfen Schreien vegetiert

Doch während meine Seele
im Feuer dieser Bilder brennt und bröckelt
entfaltet sich, unter den Welten zufällig gewählt,
die eine Wirklichkeit
fast zu erträglich, um an sie zu glauben
zu flüchtig noch, um auf dem festen Grund des Wissens
ein Haus aus Dankbarkeit zu bauen

Es gilt, zu handeln und zu funktionieren
kein Denken und kein Fühlen ist erlaubt
Es gilt, die neue Welt als meine zu erkennen -
merkwürdig nur, wie leicht das geht
wie willig sich die Seele beugt unter das Joch

Dann wieder, diesmal wohl gesteuert,
ein Sprung durch Wirklichkeiten
der Schock fast größer als beim ersten Mal
Zwei Tage durch die Zeit und ihre Universen
zwei Tage durch die Schichten meines Seins gereist
zwei Tage, die mir meine Unschuld genommen haben und
die Unbefangenheit

Für immer werd ich leben mit den Bildern
von jenen Wirklichkeiten, an denen ich
mich versündigt habe durch meine leichte Flucht
für immer wird an mir das Leiden jener haften
die in der parallelen Welt zurückgelassen sind

Schwer wiegt die Schuld des Ichs
das seinem Schicksal feig
entronnen ist

Freitag, 23. Juli 2010

Kampf der Titanen

Dein Mund voll Blut
die Augen leer
dein Stammeln aus der Tiefe ferner Welten
in wildem Zorn schlägst du und trittst
nach denen, die dir helfen

Die Fesseln, noch so fest gezurrt,
sie weichen deinem Zerren
die Nadeln finden nicht ihr Ziel
wie Schall und Rauch verpufft der Dampf
der dich in Morpheus' Arme ruft
du gönnst dir keine Pause

Und wehrlos weichen wir
vor deiner Leidenschaft
schon lange haben wir gelernt
uns stumpf und stur dem Schicksalsspruch zu fügen
Du bäumst dich auf mit jener Kraft
die dir von drüben mitgegeben war ins Leben
verweigerst dich den Göttern
als deren brave Diener wir
dich zu halten suchen

- Ich bin ein Mensch -, schreist du
Gebet oder Beschwörung
du bist ein Mensch
ein Blatt im Wind
und ich verdammt zum
stummen Zeugen deines Falls.

Donnerstag, 8. Juli 2010

Übergänge

Meine Wunden
bluten
mich aus mir hinaus
in eine andere Welt

Wie werden sie verkannt
die Boten des Unendlichen
wie werden sie gefürchtet
ganz ohne Grund
denn Angst erwächst nur aus
Erstarrung

Dort, wo lebendig
mein Wesen über Grenzen geht
wo jede Wunde mir
den Weg zur Wahrheit weist
dort find ich eine Fülle und
Erleuchtung
die ich in meinen engen Wänden
nicht einmal träumen kann

Samstag, 3. Juli 2010

Bazar

Ein weiterer untauglicher Versuch
dich zu bestechen
Erfüllst du mir noch diesen einen Wunsch
- der, das halt ich mir zugute,
nicht meiner selbst gewidmet ist -
wenn ich verspreche,
dann an dich zu glauben?

Was willst du noch von mir,
die nichts zu bieten hat?
Was kann ich geben, um noch
etwas zu erlangen?

Wenn es mir möglich ist,
dein Fordern zu erfüllen,
dann lass mich wissen,
welchen Preis ich zahlen muss.
Ich werde ihn nicht gern begleichen

Doch werd ich's tun im Wissen,
dass ein jedes Wunder
teuer erkauft sein muss.

Freitag, 2. Juli 2010

Geständnis

Ich hab mich überschätzt
und bin dir fern geworden
in meinem Opfer
so wie ich mich von vielen
vor dir entfernt

Im Glauben an den Auftrag
blind dem Appell gefolgt
nichts ahnend von dem existentiellen Ausmaß
an Vernichtung
das meine Treue mit sich bringt

Noch weißt du nicht
in welchen Tiefen
sich mein Sinn bewegt
Noch wähnst du dich
aufrechter Liebe sicher

Mögest du nie erkennen
dass jede Tat nur Pflicht
und jedes Wort nur Mitleid war
seitdem du mich
unter dem Banner unsrer Freundschaft
vernichtet hast

Donnerstag, 1. Juli 2010

Unterwegs

Regen fliegt mir entgegen
explodiert in bunten Kaskaden auf meiner Haut
Wasser getränkt von Sonnenlicht
die Natur im Champagnerrausch

Aus der Zeit gerissen
von der Ordnung des Alltags befreit
die leichte Eleganz des Chaos
streift mich mit warmen Fingern

Beruhigt
die Vergänglichkeit des Vergangenen hinnehmen
die Belanglosigkeit des Gegenwärtigen genießen
Frei in der Unvorhersehbarkeit des Kommenden

Gelassenheit findest du
nie am Ziel
sondern immer nur am
Rande des Weges.

Samstag, 12. Juni 2010

Auferstehung

Der Augenblick
in dem der Hammer in deinem Kopf einsetzt
- ganz plötzlich, wie ein Stein,
der ins Wasser fällt -
der dich von jenem sanften Schlummer trennt
in dem du dich nicht weißt
jenem Abgrund
der kein Morgen garantiert
kein Ich verspricht
und kein Du kennt

Dieser kurze Atemzug
voller Schmerz
und Wiedererkennen
erweckt dich
zum Leben.

Freitag, 21. Mai 2010

Godot

Warten
auf bessere Zeiten
das letzte Abendmahl
die Erleuchtung

Im Schein der Straßenlaterne
auf liebe Freunde
warme Stuben
das Aufatmen, das
die Spannung löst

Nicht erwarten können
das Unvermeidbare
zu vergessen
dem Unerbittlichen
zu entrinnen
anzukommen
in mir

Montag, 10. Mai 2010

Grenzland

Tiefgaragen
Treppentürme
Bettenhäuser
mit wehenden Fahnen erreicht.

So viele Menschen
in der Notfallaufnahme.
Seltsam, dass du ihre Angst
nicht riechst.

Am Rande deiner selbst
fragst du dich,
ob heute der Tag ist,
an dem das Damoklesschwert
sein Ziel trifft
Oder ob der Kelch
wieder einmal
wider Erwarten
an dir vorüber geht.

Das Leben schnell noch einmal
im Spiralblick durchlaufen.
War es so, wie es sein sollte?
Wie es hätte werden können?
Oder hast du es versäumt?
Wartest du immer noch?

Sekunden, die quellen
wie zäher Brei.
Den Augenblick festhalten
- auch wenn du daran erstickst -
aus Angst vor dem nächsten.

Das Flüstern der Hoffnung
wie ein Gebet:
Noch kann alles gut werden.
Noch birgt dieser Tag die Chance,
in der Vergessenheit des Alltags
gnädig unterzugehen.

Sonntag, 25. April 2010

Metamorphosen

Ich wandle epikureische Wege
im Niemandsland.
Alleine
- das ist die sicherste Option.
Glauben wollen,
was ich nicht wissen kann.
Denken dürfen,
was ich nur fühle.
In der Einsamkeit streift mich
wie ein Hauch von Erinnerung
Friede.

Samstag, 17. April 2010

Eruptionen

Was, wenn der Vulkan,
auf dem zu tanzen du glaubtest,
eines Tages explodierte?

Wenn dir die heiße Lava
aus dem tiefsten Schlund,
von der du nur träumen wolltest,
die du nie sehen wolltest,
in greller Vernichtung entgegen schösse?

Wenn graue Asche dir den Blick
und nach dem Licht den Atem nähme
und deine Flügel, eben noch so stolz im Wind,
erlahmten?

Was, wenn alle Märchen dieser Welt
im Angesicht der Wirklichkeit
durchs Tor zur Hölle führen,
bevor sie stumpf und fahl im Nichts verwehten?

Die Antwort
mein Freund
findest du nur
wenn du zu suchen wagst

Sonntag, 11. April 2010

Disziplin

Zu müde
um Fragen zu stellen
ausgeleert
einsam

Es könnte so einfach sein
aber wer will das schon
das kann ja jeder

Ein Hilferuf
klingt lächerlich
wenn du auch so überlebst

Lieber schweigen und handeln
als leiden und denken
stur geradeaus
jetzt erst recht

Das Blut in deinem Kopf
singt sein Lied
du wirst es irgendwann
vielleicht verstehen

Bis dahin folgst du blind
dem monotonen Takt
wer braucht ein Ziel
es reicht der nächste Schritt

Sonntag, 4. April 2010

365

Wie eine Drohung
steht die Zahl vor dir
Auf Fels gebaut
um jedem Sturm zu trotzen
muss deine Liebe Tag für Tag
vollkommen sein

Und wenn der Überdruss
dich aus dem Käfig des Gewohnten
hinaus ins Freie treibt
in die Natur
wo dich ein stiller Friede sucht und findet
der Menschen scheut und keine Liebe kennt

Dann bist du an der großen Zahl gescheitert
Vernimm den Schuldspruch und
gesteh’ die Sünden ein
Dein Brandmal wird dich zeichnen
bis ans Ende
und dir Verdammnis und
Erlösung
sein.

Samstag, 3. April 2010

Tage wie dieser

Das Blut
in meinen Ohren
dröhnt
Die Qual, mir selbst beim
Leben
zuzuhören
Der Schmerz
so relativ
(was ist schon Schmerz)

Die Sinne raubt mir
nicht das Tier
in meinem Kopf
sondern die Hand
die mich zu Boden drückt
Ich füge mich
dem harten Griff
hilflos und schlaff
wie ein kaputtes Spielzeug
zu nichts mehr gut

Wir brauchen keine Mama
wenn sie nur liegt
und weint
und jedem Tag
die Freude nimmt
und jedem Lied die Melodie

Alleine mit dem Tier
und seiner Wut
es könnte schlimmer sein
das kann es immer
Ich spüre
dass ich lebe
- ist es das nicht wert? -
und leide dankbar
in Ergebenheit

Sonntag, 21. März 2010

Marksteine

Manchmal
triffst du einen
der weiß, was er wert ist
Der mit Stolz
aufrecht
durch’s Leben geht
Der misst und wägt
und mit der Eleganz des Henkers
den Todesstoß verteilt
getarnt als Gnadenakt.

Und wenn du dann
im Antlitz deiner Schwäche
den Galgen wählst und nicht
den Schein
Und wenn du lieber
weinend untergehst
als mit dem Strom
dich heuchlerisch
im Licht der Sonne suhlst

Dann weißt du
für den einen Augenblick
dass es ein Gott war
der dich einst erschuf.

Sonntag, 28. Februar 2010

Frühlingserwachen

Wenn die Sonne im Tiefflug
durch die Welten pfeift
und die Wolken sich
den Winden beugen

Wenn ein Kommen und ein Gehen
im wirren Kreisel
uns die Sinne raubt
und ein ums andere Korn
stöhnend vor Lebenslust vergeht

Wenn tief gekrümmte Stämme
sich nach oben ranken
im stolzen Glauben an ein Leben
nach dem Tod
und über morschem Holz
ein leiser Duft nach morgen weht

verebbt – ganz unbemerkt –
das dumpfe Warten
und auf seinen weißen Knochen
erblüht das erste Licht.

Sonntag, 24. Januar 2010

Das Lied

Der goldene Vogel
sitzt und schweigt.
Er sieht nicht
den Glanz seiner Federn.
Zu hell der unablässige Schein der Sonne.
Kein Schatten, der jenem nächsten Strahl
den Funken verleiht.

Er sitzt
und schweigt.
Er wiegt nicht
die Schwingen im Wind.
Eng presst er die Flügel
an den warmen Körper.
Gewarnt will er sein
und gewappnet
für jenen Augenblick,
der ihm die Freiheit nimmt.

Dann wird er sitzen
zerzaust und geschunden
und durch Gitterstäbe träumen
von jener Welt, in der er jeden Tag
die Flügel ausgebreitet hätte,
um hoch zu fliegen übers Tal
wenn nicht das Warten ihn gefesselt hätte.

Und im Gedenken an das Leben,
das er nie gelebt,
hebt er den Kopf
und singt.