Freitag, 7. Oktober 2016

Die andere



So viele Jahre lang
hast du mich
ruhig gestellt
mich weggesperrt und
angekettet
ganz tief im Keller
wo auch noch die reinste Seele
ihren Schmutz versteckt

Nicht rühren
durfte ich mich dort
nicht aufbegehren
Nur aus der Ferne
konnte ich verfolgen
wie du nach deinen Idealen lebtest
so ahnungslos und frei von Schuld
in selbstgefälliger
Unfehlbarkeit

Doch jetzt
schlägt meine Stunde
Und du bist still
Denn du warst unachtsam genug
das Steuer loszulassen
Und jetzt
hab ich es in der Hand

Erst dehn ich meine Glieder
die noch die Schatten ihrer Fesseln tragen
und richte mich zu voller Größe auf
Dann hält mich nichts mehr
ich greif tief hinein ins Leben
und koste seinen Nektar
und trink von seinem Gift

In jeden Winkel richt ich meine Fackel
zu sehen
was mir sonst verborgen war
Was kümmern mich die Funken
die von ihrer Flamme springen
denn was verbrennen soll
verbrennt

So wandle ich
erschaffend und vernichtend
in meinem dunklen Paradies
Und ruf ein jedes Ding bei seinem Namen
denn Schmerz ist Schmerz
und Blut ist Blut
und nichts davon geht mir verloren
weil ich auf nichts davon verzichten kann

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