Sonntag, 17. Dezember 2017

Engel der Nacht

Die dunkle Materie ist es
die uns den Schlaf raubt

Mitten unter uns
und doch gerade außerhalb unserer Reichweite
lockt sie mit dem verheißungsvollen Versprechen
einer anderen Dimension

Und wir sehnen und verzehren uns voller Gier
Fühlen wollen wir, sehen, riechen, schmecken
was sich – so nahe und doch ungreifbar –
vor unserem brennenden Blick verbirgt

Die dunkle Materie ist es
die uns nicht zur Ruhe kommen lässt
Oder der unwiderstehliche Sog
unseres eigenen Abgrunds






Samstag, 2. Dezember 2017

Advent

Finster ist es und kalt
Die Raben singen ihr Winterlied

Advent, nennen es die Menschen
Ich frage mich, worauf sie warten

Was wir ersehnen, ist längst geschehen
und wirkt in uns fort
In mir jedenfalls

Einige von uns können es spüren
Andere nicht
Sie warten immer noch

Die Raben wissen es besser
Es ist nichts als Winter

Grausamer, trostloser, unendlicher Winter
Da müssen wir durch

Mittwoch, 15. November 2017

Am siebenten Tag

Erst, als es keine Zukunft mehr gab
nur noch Vergangenheit
hörte sie auf
nach neuen Ufern zu streben

Sie blieb stehen
und blickte sich erstaunt um
War das wirklich die Welt
die sie erschaffen hatte?

Lange betrachtete sie ihr Werk
Sie sah, dass es gut war
Und nach all der Zeit fand sie endlich
zur Ruhe


Samstag, 11. November 2017

Wenn der Wind weht

Es ist nur der Föhn
der an mir reißt
Was sollte es auch sonst sein?

Nur der trügerisch warme Wind
der sich hinter der Sonne versteckt
und uns die Blätter wegnimmt
und das, was von Sommer noch übrig war

Ich habe schon ganz anderes überstanden
Feuersbrünste, die mich versengten
Sintfluten, die mich wegzuschwemmen drohten
und die große Leere, die nach mir griff

Diesmal ist  es nichts
Nur der Föhn



Freitag, 3. November 2017

Verwerfungen

Seltsam
dass sich dann doch immer wieder
ein Abgrund vor mir auftut

Sie sind nicht alle gleich tief
Manche kaum mehr als Gruben
mit weichen Blättern gepolstert
Andere klaffen scharfkantig und böse
und wenn ich mich vornüber beuge
versinkt mein Blick im Bodenlosen

Was wollen sie von mir
diese hinterhältigen Erdspalten
die mir unversehens den Weg verstellen?

Habe ich es nicht verdient
auf ebenen Pfaden zu wandeln
weil ich Schuld auf mich lud
in Gedanken, Worten und Werken?
Wäre mir langweilig
ohne den Reiz der Gefahr?

Oder zwingt mich das Schicksal, zu beweisen
dass ich noch springen kann
und fliegen?


Sonntag, 29. Oktober 2017

Wellen

Jede siebente
haben sie gesagt
Und auf die hatte ich mich vorbereitet
Die Füße hätte ich fest im Erdboden verankert
die Schultern gestrafft
alle Muskeln angespannt
Mit Leichtigkeit hätte ich ihr standgehalten

Aber sie haben gelogen
Sie haben vergessen, zu erwähnen
dass es auch die zweite oder dritte oder fünfte sein kann
die dir den Boden unter den Füßen wegzieht
und dich fortreißt
ob du willst oder nicht
aus heiterem Himmel

So kam es, dass ich sie nicht bemerkte
bis der gläserne Berg sich vor mir auftürmte
und an Flucht nicht mehr zu denken war
weil ich um nichts in der Welt versäumen wollte
wie sie sich bräche
Selbst, wenn sie mich mitnähme

Ich liebe die Wellen, alle sieben



Samstag, 21. Oktober 2017

No way out

Ich werde immer da sein.
Niemals einknicken
mich drücken oder
davonlaufen
Niemals mich verstecken

Mit mir gibt es nur
alles oder nichts
Die ganze Wahrheit oder
die perfekte Lüge
Mit einem feigen Mittelweg
kommst du nicht durch

Versuche also nur nicht
mich vorsichtig zu umschiffen
schmeichelnd einzulullen oder
wortreich schönzureden
So oder so
entkommst du mir nicht

Dein Weg führt unweigerlich
durch meine Mitte
und niemals
an mir
vorbei



Montag, 16. Oktober 2017

Flügel der Nacht

Da ist er wieder
der unwiderstehliche Sog
der Finsternis
Reizvoll und verlockend
wie eh und je

Und wie eh und je
geb ich mich freiwillig und ganz
der Faszination des Dunklen hin
und der Magie des Verbotenen
Manche Dinge ändern sich nie


Donnerstag, 14. September 2017

Überschießend

Wieder einmal
zu hoch geflogen
zu lange getanzt
zu tief getaucht
zu wild geküsst

Wieder einmal
zu weit gegangen
wie schon so oft 
und noch immer nicht bereit
die Zeche zu zahlen

Der Preis bleibt unverändert hoch
und bitter
aber immer ist er es wert
Weil ich so bin
wie ich sein muss
Zu viel von allem


Sonntag, 10. September 2017

Unterwegs

Der Weg
ist das Ziel
endlos erstreckt er sich
vor und hinter dir
wo du auch hinschaust

Sinnlos
den Anfang zu suchen
oder das Ende
Sie treffen sich immer
unter deinen Fußsohlen

Der Weg
ist das Ziel
ist der Weg
ist das Ziel
bis zuletzt

Freitag, 18. August 2017

Ent.flamm.bar

Sie fühlt sich so gut an
die Sonne auf meiner Haut
ihr fester, zärtlicher Griff
der das Leben in mich hinein gießt

Ich weiß, ich sollte mich
schützen vor ihrem Feuer
will ich nicht wieder
einen hohen Preis bezahlen

Doch weiß ich auch
was immer es kosten mag
ich werde mich jedes Mal entscheiden
zu brennen



Freitag, 28. Juli 2017

Licht der Provence

Ein tiefsattes Blau
ein smaragden lockendes Grün
mit weißen Juwelen besetzt
Nirgends habe ich das Meer
in leuchtenderen Farben
singen gehört

Die Sonne
die sich verführerisch
an die roten Felsen schmiegt
strahlt anders als zu Hause
weicher und zärtlicher
mehr Erfüllung als Versprechen

Malen möchte man
diese verzauberte Landschaft
Worte und Töne möchte man finden
um sie festzuhalten und mitzunehmen
in das kühle Licht des Nordens

Und doch bekommt keiner von uns
sie jemals ganz zu fassen
Nur im lebendig pulsierenden Hier und Jetzt
erschließt sie sich den betörten Sinnen
in allen Facetten ihrer Magie

Sobald wir ihr aber den Rücken kehren
geben wir sie verloren
Nur die Sehnsucht
bleibt fest in unseren Herzen verankert
und der brennende Wunsch
wiederzukommen

Dienstag, 18. Juli 2017

Zerborsten

So viele Jahre hab ich schon zurückgelegt
und so viele Menschen hinter mir gelassen
Menschen, die mich zu der gemacht haben, die ich bin
Geschichten, die meine Geschichte geworden sind
Unzählige Bruchstücke meines Herzens
die fremde Wege säumen

Aber da sind auch die Scherben anderer Leben
die ich aufgelesen habe
und seither hüte und bewahre wie einen Schatz
deren Los ich mir auflade in gnadenloser Loyalität
auch wenn man sie mir meistens
nicht freiwillig überlassen hat

Wir sind doch alle nur, jeder für sich,
Mosaike aus Bruchstücken
eigenen und fremden
und je älter wir sind, und je größer ihre Zahl
desto bunter und vielfältiger
leuchten sie unseren Weg aus

Aber in Wirklichkeit sehnen sich all die Scherben
an ihren Ursprungsort zurück
Und jeden Teil unseres Wesens
den wir im Lauf der Zeit
irgendwo zurückgelassen haben
zieht es immer noch schmerzlich in die Heimat

Deshalb verwundert es nicht
dass wir Zeit unseres Lebens
uns verausgaben
auf der vergeblichen Suche
nach den Bruchstücken
unseres vielfach gebrochenen Herzens

Und niemals
wirklich
fündig werden




Samstag, 15. Juli 2017

Getrieben

Ewig Suchende auf dünnem Eis
zur Rastlosigkeit verdammt

Dieses verheißungsvolle Knirschen
wenn du auf die gewissen Stellen trittst
und das leise Vibrieren unter deinem Gewicht

Eine versteckte Andeutung nur
subtil und elegant
nicht in der plumpen Manier einer Drohung

Und doch elektrisiert dich
der lustvolle Nervenkitzel der Ungewissheit
ob es dich diesmal erwischen wird

Ob im nächsten Augenblick
der feste Grund unter deinen Füßen aufbirst
und es dich in eine andere Dimension schleudert

Oder ob du wieder einmal
ungeschoren davonkommst
um weiterzusuchen

Zur Rastlosigkeit verdammt
Bis das Eis bricht



Sonntag, 4. Juni 2017

Be.geist.ert

Ein Brausen wie vom Schlag
mächtiger Schwingen.
Totale Dunkelheit.
Dann diese Feuerzungen
erschreckend grell.
Vor einer Stunde noch
hätten wir geschworen
wir glauben nicht an Geister.
Aber wie könnten wir uns
solcher Gewalt entziehen?

Ein heftiger Windstoß
aus dem Nichts
drückt die Türe auf
die wir so sorgsam
verschlossen hielten.
Drängt uns hinaus.
Wir gehen und reden
wie wir nie zu reden wussten
begeistert.
Und leuchten von innen.


Dienstag, 23. Mai 2017

Früher

War das wirklich alles
für nichts?

So viele Worte
sind durch den Äther geflogen
beladen mit Träumen und Seelensplittern

So viele Wahrheiten haben wir
gesucht, gefunden
verschleiert und aufgedeckt

So viele Wunden einander
geschlagen, wieder verbunden
und aufbewahrt
für unsere Narbensammlung

Lange bevor wir
am Anfang vom Ende
den entscheidenden Schritt zu weit
gegangen sind

Und wo sind jetzt die zwei
die wir früher waren?
Mir fehlen sie

Freitag, 19. Mai 2017

Und wenn sie nicht gestorben ist

Ich möchte über die sieben Berge gehen
und die sieben Zwerge
hinter mir lassen

Denn der vergiftete Apfel steckt immer noch
in meiner Kehle
und es kam kein Prinz
mich zu erlösen

Ich bin nicht die Schönste im ganzen Land
und wär ich es
so machte es mich auch nicht glücklich

Der Zauberspiegel sagt mir nur
was ich schon weiß
und gibt mir nur
was ich schon habe

Und so lange ich nicht gestorben bin
werde ich damit leben müssen


Mittwoch, 10. Mai 2017

Jahrestag

Wie viele Monde,
Tage, Nächte
sind vergangen?
Tausend?
Oder war es doch nur eine?

War ich vorher die
die ich jetzt bin?
Oder bin ich jetzt die
die ich vorher nie hätte sein wollen
oder können?

Hat es mich zerrissen
oder bin ich jetzt endlich ganz
oder trifft beides zu
irgendwie?

Das Leben ist seltsam
verrückt und furchtbar
und furchtbar schön
Unvergesslich jedenfalls


Freitag, 5. Mai 2017

Mal anders

Ich kann aber auch still sein
und ganz sanft
Als könnte ich kein Wässerchen trüben
obwohl ich jedes Wasser in Wallung bringe
wenn ich will

Doch manchmal möcht ich nur
an deiner Schulter lehnen
nicht kämpfen
nicht aufbegehren
Nur deine Nähe spüren
und meine Gegenwart

Samstag, 1. April 2017

Kassandra

Eine von uns
hat es schon vorher gewusst.
Wie haben wir sie verspottet
der Ängstlichkeit geziehen
unseren Hohn über sie ausgegossen!

Wo wären wir heute
hätten wir ihren Worten Beachtung geschenkt?
Unsere Mauern wären nicht überrannt
unsere Herzen nicht den Flammen
preisgegeben worden.

Aber es ist ihr Schicksal und unseres
dass ihre Mahnung ungehört  verhallt.
Das Feuer ruft, und wir kommen.
Nur ihr dunkler Blick folgt uns
in den Untergang.


Montag, 27. März 2017

Erwachen



Hörst du es?
Die Vögel singen wieder
Wusstest du noch
dass sie singen?
Mir ist, als hätte ich es vergessen
während der dunklen Monate
als nichts meinen Panzer durchdringen konnte
nichts als die Kälte, die von außen kam
um sich mit der Kälte innen zu vereinen

Aber jetzt spüre ich wieder
ihr Lied auf meiner Haut kitzeln
Es will herein, um von innen heraus
die Dunkelheit wegzusingen
Soll ich sie einlassen
diese lockenden Töne
die vom Leben erzählen und vom Licht?
Oder lauert noch um die Ecke
mit hämischem Grinsen
der Winterengel
um mir diesmal den letzten Stoß zu versetzen
von innen?

Es ist nicht leicht
eine Türe zu öffnen
die zuzudrücken mich
vor gar nicht allzu langer Zeit
alles gekostet hat
was ich an Kräften aufzubieten hatte
Denn auch, wenn hinter ihrem schweren Holz
die Kälte wohnt
bin ich doch hier in Sicherheit

Aber das Lied der Vögel
erzählt von offenen Türen
nicht von geschlossenen
von der Hoffnung singen sie
nicht von der Angst
Und meine Hand liegt schon
auf der Klinke

 

     

Sonntag, 12. März 2017

Flugbahnen

Engel fliegen auch nicht immer
gleich hoch

Manchmal können wir sie
als winzige Punkte
gerade noch erkennen
ganz weit oben
unendlich fern
Obwohl wir sie dann meist
für Vögel halten
in unserer grenzenlosen Ignoranz

Dann wieder rauschen sie
über unsere Köpfe
so knapp hinweg
dass wir uns ducken müssen
um ihren mächtigen Schwingen
zu entgehen
Ein Streifschuss
der himmlischen Heerscharen
kann tödlich sein

Und wir
die wir nach ihrem Bild
geschaffen wurden
wie sollten wir es anders tun?

Ob wir uns luftigen Höhen
entgegen jubilieren
oder grausam unseren Schatten
in die Erde brennen
ob wir nun sengen oder segnen
ob wir töten oder selbst vergehen

Wir alle hören auf denselben Namen
Wir alle tragen das Licht

Samstag, 25. Februar 2017

Epilog


Und was jetzt
wo ich angekommen bin?
Nach all der Zeit
in der das nackte Überleben
meine einzige Maxime war
Nach all den Abenteuern
die mich Blut und Leben kosteten
Nach all den Sünden
die ich begangen
und jenen
denen ich entsagt habe
Was nun?

Mühsam
im Schweiße meines Angesichts
als Zerrbild meiner selbst
bin ich den Trümmern meines Schiffs entstiegen
war noch einmal davon gekommen
und wusste, jetzt bin ich gerettet
Und erst in diesem Augenblick
kam ich zu Sinnen

Mit einem Mal liegt so viel hinter mir
und wie der Schatten eines abgehackten Arms
schmerzt mich nach der Sirenen Song
die Stille
und wie ein Süchtiger
sehn ich mich noch einmal
nach Kirkes Zaubertrank
und wie ein Wahnsinniger
seh ich mich immer noch
gefangen zwischen Skylla und Charybdis

Und bin doch frei
hab alle Prüfungen bestanden
hab jeden Teufel besiegt
und jeden Engel schachmatt gesetzt
und mir das leere Blatt erkämpft
das jetzt zu meinen Füßen liegt
und auf mich wartet
unerbittlich
Versprechen und Drohung in einem
und ganz in Weiß

Die Tabula rasa
wieder einmal
wie grausam ist doch die Freiheit
Nach all den Gefahren
denen ich trotzte
nach all den Schlachten
die ich schlug
muss ich mich schließlich
wirklich bewähren
und endlich Ich sein
denn dies ist mein Land